Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Brad Mehldau: After Bach II / Après Fauré (Review)

Artist:

Brad Mehldau

Brad Mehldau: After Bach II / Après Fauré
Album:

After Bach II / Après Fauré

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Jazz, Klassik, Piano-Solo

Label: Nonesuch Records/Warner Music
Spieldauer: 66:29 (Bach) / 42:55 (Fauré)
Erschienen: 10.05.2024
Website: [Link]

Dieser Mann kennt keine Grenzen. Mit Jazz pur, ob allein oder im Ensemble, begnügt sich BRAD MEHLDAU schon lange nicht mehr. Vor Alben mit Opern- und Liedsängern (Renee Fleming, Anne Sofie von Otter, Ian Bostridge) schreckte er ebensowenig zurück wie vor Prog-Rock-Aneignungen. Electro-Avantgarde-Crossover wurde genauso virtuos gemeistert wie ein Ausflug in den Country-Folk mit dem Mandolinisten Chris Thile. Nicht zuletzt hat der Pianist und Komponist MEHLDAU immer wieder gekonnt Brücken zur Popmusik geschlagen - voriges Jahr mit der feinen Beatles-Hommage "Your Mother Should Know", davor mit vielen Cover-Versionen von Jimi Hendrix und den Beach Boys bis zu Radiohead und Nick Drake auf Solo- und Trio-Alben.

Nein, stilistische Berührungsängste kannte der seit über 30 Jahren aktive, hochrenommierte und Grammy-geehrte US-Musiker nie. Und beliebig oder banal wurde es zum Glück auch nicht, wenn BRAD MEHLDAU mal wieder ein neues, eigentlich weit entferntes Steckenpferd entdeckte. Auch Klassik war und ist ein Thema für den am Berklee College of Music und an der New School for Jazz & Contemporary Music ausgebildeten Amerikaner. Immer mal wieder gibt MEHLDAU gefeierte Mozart-Konzerte, vor sechs Jahren beeindruckte seine profunde solistische Beschäftigung mit Bach-Werken auf "After Bach".


Diesem Kritiker-Erfolg lässt der 53-Jährige nun auf seinem langjährigen Label Nonesuch zeitgleich die miteinander verwandten Alben "After Bach II" und "Après Fauré" folgen - also Präludien und Fugen, Nocturnes, Variationen und eigenen Hommage-Beiträgen zur bahnbrechenden Musik von Johann Sebastian Bach (1685-1750) und Gabriel Fauré (1845-1924). Es ist schon rein handwerklich und erst recht interpretatorisch faszinierend, wie BRAD MEHLDAU hier Klassik und Jazz kenntnisreich und sensibel in Beziehung setzt, um mit dieser Verbindung über die Jahrhunderte hinweg pianistische Funken zu erzeugen - ohne dass auch nur zu einer Sekunde der Eindruck matschiger Fusion aufkommt. 

Das zweite Bach-Album des 1970 in Jacksonville/Florida geborenen Musikers umfasst vier Präludien und eine Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier sowie die Allemande aus der vierten Partita, ergänzt durch sieben eingestreute Kompositionen oder Improvisationen von MEHLDAU selbst, einschließlich der Variationen über Bachs Goldberg-Thema. Auf "Après Fauré" spielt er vier Nocturne-Präludien aus einem Zeitraum von 37 Jahren im Schaffen des französischen Organisten, Chorleiters und Pianisten sowie einen Auszug aus dem Adagio eines Klavierquartetts, zudem werden auf dieser kürzeren Platte vier von Fauré inspirierte MEHLDAU-Kompositionen präsentiert ("Prelude", Caprice", Nocturne" und "Vision").


Zu Bachs "Universalität" schreibt BRAD MEHLDAU in seinen - wie schon beim ersten Album von 2018 - erfreulich ausführlichen Liner-Notes: "Je mehr man versucht, sich auf ihn einzulassen, desto mehr wird die eigene Persönlichkeit sichtbar, unvermeidlich. Du spielst nicht Bach - Bach spielt dich, in dem Sinne, dass er dich entblößt." Bach sei "ein Vorbild für mich als Jazzmusiker. In meinen improvisierten Soli möchte ich melodische Phrasen mit harmonischen Implikationen bilden und Harmonie erzeugen, die sich auf melodische Weise bewegt. Das ist ein wesentlicher Bestandteil der Erzählung."

Auch zu Fauré hat der im Konzert oft versunken und melancholisch wirkende MEHLDAU seine Gedanken notiert: "Wenn das Erhabene uns einen Vorgeschmack auf unsere Sterblichkeit gibt, dann könnte diese Musik die Strenge des Todes vermitteln." Er habe "vier Stücke komponiert, um Faurés Musik hier zu begleiten und mit Ihnen, den Zuhörer*innen, die Art und Weise zu teilen, wie ich mich mit Faurés Frage auseinandergesetzt habe." An diesem Komponisten des französischen Fin de Siècle habe ihn auch fasziniert, "wie er sein musikalisches Material pianistisch aufführte - er nutzte die Klangfülle des Instruments meisterhaft als Ausdrucksmittel".


Ob BRAD MEHLDAU nun Bachs barocke und Faurés spätromantisch-impressionistische Kompositionen in seinem ganz persönlichen Stil als klassisch ausgebildeter Jazz-Pianist interpretiert (also mit einem nie streng das Original nachbauenden Ansatz), oder ob er die Wirkung dieser Meisterwerke aus dem 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert in eigene Stücke ummünzt: Für die Hörerinnen und Hörer sind es fast zwei Stunden fabelhafter Musik, die ihnen dieser moderne Klavier-Meister wieder einmal schenkt. Besser kann man so etwas nicht machen. 

Dass diese beiden Platten nicht nur erhellende Begleittexte, sondern auch wunderschöne Cover-Artworks zu bieten haben (eine historische Fotografie der Büchersammlung im berühmten Trinity College Dublin zu "After Bach II"; ein Eiffelturm-Fotoausschnitt zu "Après Fauré"), versteht sich da eigentlich von selbst.


FAZIT: Nicht viele Jazzmusiker können sich Klassik-Ausflüge so gut leisten wie der vielseitig gebildete Pianist und Komponist BRAD MEHLDAU. In seinem sehr persönlichen Stil widmet er sich nun erneut Johann Sebastian Bach und erstmals Gabriel Fauré. Die beiden zeitgleich erscheinenden Alben bieten virtuose Brückenschläge zwischen zwei Genres, ohne sich dem Fusion-Abgrund auch nur anzunähern. Wer weiß, welcher Ambition MEHLDAU als nächstes folgt, welchen Stil er dann präferiert - "After Bach II" und "Après Fauré" sind nun erst einmal meisterhafte Verbeugungen eines zeitgenössischen Musik-Genies vor zwei historischen.

Werner Herpell (Info) (Review 2075x gelesen, veröffentlicht am )

Unser Wertungssystem:
  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
[Schliessen]
Wertung: 14 von 15 Punkten [?]
14 Punkte
Kommentar schreiben
Tracklist:
  • After Bach II
  • Prelude to Prelude
  • Prelude No. 9 in E Major from The Well-Tempered Clavier, Book I, BWV 854
  • Prelude No. 6 in D Minor from The Well-Tempered Clavier Book I, BWV 851
  • After Bach: Toccata
  • Partita for Keyboard No. 4 in D Major, BWV 828: II. Allemande
  • After Bach: Cavatina
  • Prelude No. 20 in A Minor from The Well-Tempered Clavier Book I, BWV 865
  • Between Bach
  • Fugue No. 20 in A Minor from The Well-Tempered Clavier Book I, BWV 865
  • Intermezzo
  • Variations on Bach’s Goldberg Theme:
  • Aria-like
  • Variation I, Minor 5/8 a
  • Variation II, Minor 5/8 b
  • Variation III, Major 7/4
  • Variation IV, Breakbeat
  • Variation V, Jazz
  • Variation VI, Finale
  • Prelude No. 7 in E-Flat Major from The Well-Tempered Clavier Book I, BWV 852
  • Postlude
  • Après Fauré
  • Gabriel Fauré:
  • Nocturne No. 13 in B minor, Op. 119 (1921)
  • Nocturne No. 4 in E major, Op. 36 (c. 1884)
  • Nocturne No. 12 in E minor, Op. 107 (1915)
  • Brad Mehldau:
  • Prelude
  • Caprice
  • Nocturne
  • Vision
  • Gabriel Fauré:
  • Nocturne No. 7 in C minor, Op. 74 (1898)
  • Extract from Piano Quartet No. 2, Opus 45 (c. 1887): III. Adagio non troppo

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
Benachrichtige mich per Mail bei weiteren Kommentaren zu diesem Album.
Deine Mailadresse
(optional)

Hinweis: Diese Adresse wird nur für Benachrichtigungen bei neuen Kommentaren zu diesem Album benutzt. Sie wird nicht an Dritte weitergegeben und nicht veröffentlicht. Dieser Service ist jederzeit abbestellbar.

Captcha-Frage Vervollständige: Laterne, Laterne, Sonne Mond und...

Grob persönlich beleidigende Kommentare werden gelöscht!